Unsere Fahrzeuge110 228-4Mein Leben

..... als Einheitslok


Mein Leben als Einheitslokomotive begann in den Hallen der KraussMaffei Werke in München-Allach. Gebaut wurde ich allerdings nicht nur von KraussMaffei, sondern in einer Zusammenarbeit mit den Siemens Schuckert Werken (SSW). An meine Entstehung selbst kann ich mich leider nicht erinnern, aber ich kann mich noch an jenen denkwürdigen Tag entsinnen, als ich zum ersten Mal vor die Werkshallen geschoben wurde und ich mich in voller Pracht den neugierigen Blicken präsentieren durfte.

Am 09.05.1961 brachte man mich dann ins nahe gelegene Bundesbahn-Ausbesserungswerk München-Freimann. Hier prüfte man mich auf… wie heißt es bei den Menschen… ach ja, man prüfte mich auf Herz und Nieren. Und so wurde ich den anspruchvollen Tests meines neuen Besitzers, der Deutschen Bundesbahn, unterzogen. Unter anderem musste ich zwei Abnahmefahrten absolvieren. Die erste Fahrt als neue Einheitslok und damit meine erste richtige Zugfahrt führte mich am 17.05.1961 von München nach Traunstein und wieder zurück. Am 18.05.1961 folgte dann die zweite Abnahmefahrt von München nach Salzburg und wieder zurück nach München. Es machte richtig Spaß zu zeigen, was in mir steckt und so wie ich fühlte waren auch die Abnahmelokführer sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Im Ausbesserungswerk wurde ich dann noch ein weiteres Mal untersucht und noch letzte Kleinigkeiten verbessert oder eingestellt. Schließlich erhielt ich als E10 228 am 19.05.1961 meine Bescheinigung zur Abnahme und durfte ab sofort im aktiven Dienst eingesetzt werden.

Jetzt war ich also eine vollwertige Einheitslok! Sogleich fuhr ich zusammen mit meinen Schwestern in unsere neue Heimat ins schwäbische Stuttgart, wo wir im Betriebswerk Stuttgart-Rosenstein schon sehnsüchtig erwartet wurden. Hier durften wir gleich richtig ranklotzen und bespannten von Stuttgart aus viele Schnellzüge durch ganz Deutschland. Bis zum 27.August 1961 absolvierte ich bereits rund 80.000 Zugkilometer, ehe mich ein Gleisschuh beim Rangieren in Stuttgart am 28.August 1961 von den Schienen holte. Autsch, das tat weh! Beim Rangieren mit 22 km/h voll mit meinem ersten Drehgestell in den Schotter. Das war mein erster Unfall!
Fleißige Helfer vom Hilfszug stellten mich jedoch bald wieder aufs Gleis und so wurde ich leicht angeschlagen am darauf folgenden Tag ins Ausbesserungswerk (AW) nach München-Freimann überführt. Dass ich so schnell wieder ins AW musste hätte ich mir auch nicht träumen lassen. In München angekommen hieß es erst mal Drehgestell 1 und Radsatz 1 sowie 2 zu  untersuchen, vermessen und wieder instand setzen. Zuletzt wurde ich noch verwogen, hatte jedoch glücklicherweise nicht zugenommen und mein Auslieferungsgewicht von 86t behalten!

Am 05.09.1961 ging es dann in Stuttgart wieder in den aktiven Dienst und nach einer erneuten Wiegung am 26.10.1961 im München Freimann lief es bis zum 27.11.1961 reibungslos. Allerdings hatte ich mir beim Herbstbetrieb ein paar Flachstellen in den Radsätzen zugezogen, die am 27.11.1961 im Bw Würzburg abgedreht wurden. Anschließend ging es wieder in die Heimat!


10.12.1961 München Hbf (c) Sammlung Dirk Zimmermann

So verging Tag um Tag, Nacht um Nacht bei Wind und Wetter. Am 10.01.1962 gelangte ich zum ersten Mal ins Bw Esslingen, um mir eine Fahrmotornotaufhängung einbauen zu lassen. Das Bw Esslingen war sehr schön, doch leider ist heute nichts mehr davon übrig. Ach wo ist nur die Zeit hin?

Ich war weiterhin fleißig, bis zum 11.02.1962 habe ich 218.000 Zugkilometer hinter mich gebracht und fühlte mich so fit wie am ersten Tage. Der 12.02.1962 stand dann wieder im Zeichen einer Untersuchung. Da ich ja noch nicht sehr lange im Dienst bin, erhielt ich eine Gewährleistungsuntersuchung, bei der auch gleich beide Drehzapfenabdeckungen geschweißt wurden. Auch nach langem Überlegen ist mir nicht eingefallen, wo ich mir diese Risse eingefangen hatte. Zurück in Stuttgart startete ich gleich wieder zu großen Taten durch ganz Deutschland. Wir Einheitsloks bildeten das Rückrat des Schienenverkehrs und wir wurden immer mehr, aber ich schweife ab…

Nach nun 290.000 Zugkilometer ging es am 28.02.1962 nach München-Freimann zur großen Endabnahme. Da es mit mir keine großen Vorkommnisse gab, wurde der Hersteller Krauss Maffei und SSW aus der Gewährleistung entlassen und ich konnte stolz zu meinen Schwestermaschinen zurückkehren.
Nach knapp einem Jahr im Einsatz war es am 23.05.1962 an der Zeit, ein erstes größeres Bauteil an mir zu tauschen. Der defekte Fahrmotor Nummer 2 musste raus und Ich erhielt als Neuerung eine Abblendvorrichtung für mein Spitzensignal. Von nun an konnten wir Einheitsloks uns und anderen Lokomotiven zuzwinkern! :-)

Bis zum 18.09.1962 habe ich eine Laufleistung von 383.347 Zugkilometer hinter mich gebracht und es wurde einmal mehr Zeit für einen Besuch im Ausbesserungswerk München-Freimann. Diesmal stand der Tausch beider Drehgestelle, das Vermessen der Drehzapfen, eine Bremsuntersuchung und mal wieder das Wiegen auf der Tagesordnung. Dies alles dauerte diesmal bis zum 23.09.1962. Ich war sehr zufrieden mit der Arbeit der fleißigen Männern und Frauen im Ausbesserungswerk! Für uns Lokomotiven ist der Aufenthalt im Ausbesserungswerk wie eine Kur. Entspannen und sich verwöhnen lassen – und dann gestärkt zurück in den harten Alltag.
An einem so harten Einsatztag, es war so glaub ich... ja, es war der 15.11.1962, hatte ich ein außerplanmäßiges Treffen. Da überfuhr ich doch glatt ein paar Bahnmeistereiwerkzeuge. Wer das bloß liegenlassen hat! Hierbei zog ich mir unter anderem Schäden am Zahnradschutzkasten, am Bremsbalken, an der Luftleitung zum Ölabscheider und am Bremszylinder zu. Dadurch ging es in kürzester Zeit zurück nach München-Freimann und man setzte mich wieder Instand. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich die Pfeife gestrichen voll hatte von solchen Unfällen! Schließlich war ich erst 1 1/2 Jahre im Einsatz und schon zwei solche Erlebnisse- wo soll das noch hinführen? Zurück aus Freimann gab es die nächsten Monate zum Glück nur diverse Kleinigkeiten wie Ultraschalluntersuchungen, Abdrehen der Radsätze usw. - also nichts Weltbewegendes!
So ging es am 13.01.1964 wieder zur einer großen Untersuchung ins Aw München-Freimann. Diesmal wurde viel an mir geschraubt - Bremsuntersuchung Stufe 3, Drehzapfen vermessen, Laternen durchfluten. Tausch von Drehgestellen, Stromabnehmern, Stellmotor, sechs Bandnockenschaltern, Kompressor, Trafolüfter, Motorlüfter 2 und 3. Die Dachleitung wurde beweglich an den Druckluftschnellschalter angebracht und die Schmierstelle am Bremsspindelblock wurde ausgebaut. Also eine ganze Menge, die einen Aufenthalt bis zum 20.01.1964 erforderlich machte.

1965 Stuttgart

In den nächsten Jahren wechselte sich der Betriebseinsatz mit kurzfristigen Aufenthalten in den Werken Stuttgart, Kornwestheim und Würzburg zur Unterflurbearbeitung und Ultraschalluntersuchungen und zu weiteren kleineren Wehwehchen ab.

Große Veränderungen standen auf dem Plan, als ich mich vom 17.10.1974 bis zum 05.12.1974 im Ausbesserungswerk München-Freimann aufhielt. Neben Tausch und Revision von Bauteilen erhielt ich auch einige Neuerungen. Dabei ist besonders der Einbau des Zugbahnfunkgerätes, die Umrüstung auf mehrlösige Bremse und die erste Umbaustufe für die automatische Kupplung erwähnenswert. Allerdings kam ich über die Vorbereitung für die automatische Kupplung nie hinaus und behielt über mein gesamtes Lokleben nur einen ganz normalen Zughaken.
Nach bestandener Hauptuntersuchung fuhr ich noch bis zum 22.09.1977 im Dienst des Bw Stuttgart-Rosenstein und wechselte anschließend zum Bw Dortmund Pbf. Ich verließ Stuttgart mit einem weinenden Auge. Hatte ich hier doch viel erlebt! Doch ich freute mich auch auf ein neues Revier, neue Leute, neue Zugleistungen, neue Aufgaben.

1978 Köln Hbf

In Dortmund war ich allerdings nicht lange, bereits am 29.05.1983 kam ich in mein altes und erstes Bw zurück. Bis dato hatte ich eine Gesamtlaufleistung von ca. 4.500.000 Zugkilometern zurückgelegt. Wow, das ist ganz schön viel! Hier noch einige Bilder:

1984 Stuttgart                                                          1988 Bebra


1989 Freiburg                                                            1990 Stuttgart

Die größte Veränderung für uns Einheitsloks ergab sich ab 1994 mit der  Gründung der Deutschen Bahn AG und der Aufteilung in verschiedene Geschäftsbereiche. Von nun an fuhren wir Zehner meist nur noch im Regionalverkehr bei DB Regio. Nichts mehr blieb übrig von der glorreichen Zeit, als meine Schwestern und ich mit Schnellzügen durch ganz Deutschland tourten. Von nun an hieß es Züge zu ziehen, die mit den Bezeichnungen RB und RE aufwarteten. Wir Stuttgarter Loks kamen nun nach Konstanz, Singen, Nürnberg, Tübingen, aber kaum mehr aus dem Ländle heraus, was ich ziemlich schade fand! Allerdings hatten es wir Stuttgarter noch relativ gut, da wir gerade mit Singen, Nürnberg und Würzburg noch richtige gute und schöne lange Umläufe besaßen. Anders erging es einigen Bügelfaltenzehnern, die eine Wendezugsteuerung erhielten und im Regionalbahndienst versauern mussten.
Neuerdings wurden wir nicht mehr im Ausbesserungswerk München-Freimann Instand gehalten, fortan war das Ausbesserungswerk Dessau für uns zuständig. Dort erhielt ich unter anderem auch die Indusi I60 R und zwischen dem 28.07.1997 bis zum 27.08.1997 im Rahmen meiner letzten Hauptuntersuchung eine Indusi der Bauform PZB 90 sowie einen Umbau vom 13-poligen auf das 18-polige UIC-Kabel. Doch es war nicht die letzte Neuerung, so folgte am 18.03.1999 noch der Einbau des elektronischen Buchfahrplans. Damit war ich auf dem neuesten technischen Stand und bereit für viele neue Abenteuer.

Dass sich das Blatt bald wenden würde, hätte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nie gedacht. Als ich mit dem Zug 19626 am 17.02.2003 von Singen nach Stuttgart fuhr, erlitt ich bei der Durchfahrt in Stuttgart-Rohr einen schweren Schaltwerksschaden, von dem ich mich leider nicht mehr erholen konnte. Nach 42 Dienstjahren endete damit meine aktive Karriere als letzte blaue E 10 des Bw Stuttgarts und zugleich als letzte blaue E 10 im Plandienst in ganz Deutschland. Nachdem ich von einer befreundeten 143er ins Heimat- Betriebswerk geschleppt worden war, ging das große Zittern los. Ich wurde untersucht, um abzuklären, ob sich eine nochmalige Reparatur für mich lohnt. Leider war der Schaden doch zu groß und man entschied sich, mich endgültig auf’s Abstellgleis zu schieben.
Dank des Einsatzes einiger Lokführer blieb ich vor der Verschrottung bewahrt und wechselte am 30.06.2003 in den Besitz des DB Museums Nürnberg. Doch auch jetzt  wurde ich leider nicht aufgearbeitet und stand weitere sechs Jahre bei Wind und Wetter im Freien abgestellt, ohne zu wissen, wie mein Einheitslokleben schlussendlich weitergehen sollte.

2008 Die Natur schlägt zurück                                        2009 freigeschnitten

Zu meiner riesengroßen Freude hat sich derweil in Stuttgart ein Verein gegründet, der sich für meinen dauerhaften Erhalt starkgemacht hatte. So kam ich im Rahmen einer Dauerleihgabe am 01.08.2009 zur IG Einheitslokomotiven e.V. und kann nun in eine hoffentlich lange und zuversichtliche Zukunft blicken. Die fürchterliche Standzeit habe ich Dank der langjährigen guten Pflege des Bw Stuttgarts noch ganz passabel verkraftet.
2009 kurz vor der Übernahme

Nach über 42 Jahren Einsatzzeit, etwa 8.230.000 zurückgelegten Zugkilometern und meinem baldigen „51.Geburtstag" genieße ich nun meinen Ruhestand im Kreise von Einheitslokfans, die alles dafür tun, um mich und meine Lokomotivgeschichte am Leben zu erhalten.

Allerdings habe ich noch einen großen Traum und ich hoffe, dass das DB Museum gemeinsam mit der Interessengemeinschaft Einheitslokomotiven e.V. eine Möglichkeit findet, damit ich irgendwann wieder fahren darf. Ich möchte schließlich an die glorreichen Zeiten von damals anknüpfen und den jüngeren unter euch zeigen, was es heißt, eine Einheitslok zu sein.

Ich hoffe sehr, dass mir dieser Traum irgendwann erfüllt wird.

Wir sehen uns!

Eure E10 228

Stand Juni 2016 

Die optische Aufarbeitung der E10 228 konnte inzwischen weitestgehend abgeschlossen werden. Frisch lackiert ist sie dem Glanz vergangener Tage ein großes Stück näher gekommen! Ein detaillierter Bericht folgt in Kürze! Nach über 13 Jahren konnte die Lok am 13. Juni 2016 Stuttgart erstmals wieder verlassen, sie wurde vom DB Museum nach Koblenz überführt, um dort an der großen Festveranstaltung mit Lokparade "60 Jahre Einheitsloks" teilzunehmen.    



E10 228 präsentiert sich frisch lackiert im Betriebswerk Stuttgart, 13. Juni 2016









© IG Einheitslokomotiven e.V. - 16.06.2016